Wer glaubt, hier den Muff und Staub der kleinen Haushaltswaren oder auch deren Geschäfte in den 60er bis 70er zu riechen, geht irr. Im 13. Album von Geier Sturzflug geht es um ganz akute Probleme oder zeitgemäße Themen – Verbal sauber und spannend verpackt durch die Texte von Friedel Geratsch, wobei ihm Carlo von Steinfurt bei „Hey Kapitän“ auch zu Seite stand. Die magische Zahl 13 zieht sich auch durch die Anzahl der Songs auf der CD, nämlich 13. Es geht um bekiffte Lasterfahrer, legalisiertes Haschisch, die alte aber fähige Generation und natürlich um alle Aspekte und Auswüchse der aktuell immer noch andauernden Pandemie – Also für jeden was dabei und doch für uns alle gut. Musikalisch ist das Album durch schnellen Ska, irgendwie mit Haschisch verwobener Reggae und ein wenig Blues durchzogen. Es werden kritische Themen lustig verbal verpackt, in einen rasanten Rhythmus gesteckt und schon gefrieren trotz tropisch heißer Musik die Gesichtszüge ein und das Lachen erstickt im Hals.
Und um was geht es im Detail? „Bob Hiob“ ist der Presseteufel, der für alle wichtigen und unwichtigen, gefakten oder wahren Katastrophen dieser Zeit pressetechnisch verantwortlich zeichnet. So rasant die Themen sind, so schnell ist der Ska und die Wortthemen werden einen wie in den öffentlichen Medien im Sturmtempo um die Ohren gehauen. Von „Amoklauf“ bis „Hochwasser an der Ahr“ wird nicht nichts ausgelassen. Der „Lockdown“ bringt die aktuelle Situation vieler Arbeitnehmer auf dem Punkt. Der Lockdown symbolisiert aber auch so manchen mentalen Zustand. Ein Slidesolo über vibrierenden Ska Rhythmus und das Credo der Zeit gebetsmühlenartig wiederholt: Ich bin im Lockdown. Der Atem stock, wenn „Fünf vor Zwölf“ langsam im Reggae Beat beginnt und der Sänger aus der hallenden Tiefe des Raums darüber nachdenkt, wo die Welt, die Erde und die Menschheit heute stehen. Aber Augen zu und durch, wir wollen einfach weiter. „Zum Rollen geboren“ ist ein schneller Ska, der den Zuhörer wieder aus der Schockstarre herausholt. Dem schnellen Beat kann man sich nicht mehr entziehen. „Die alte Bürste“ erzählt von der alten und jungen Generation und wie sich sich gegenseitig sieht. Aber wir brauchen uns nicht zu verstecken – Die alte Bürste kennt die Ecken. Die CBG heult einsam, der langsame Ska bringt eine romantische Spur in diesen Generationsrückblick. „Total verrückt“ reduziert das Leben auf eine Liebeserklärung. Alles wird unwichtig, wenn man sich auf das „Total Verrückte“ einlässt und seine Liebe erklärt. Das klitzekleine Klaviersolo zwischen den Versen ist ein Highlight. Langsam beginnt „Hey Kapitän“, um dann mit Vollgas die Abkehr vom täglichen Gewohnten zu propagieren. Also Schluss machen mit der täglichen Fischfahrt auf das Meer. Wir reißen das Ruder zurück, schauen ihr in die Augen und erklettern mit ihr die Berge. „Kiffen kurbelt die Wirtschaft an“ ist die mentale Verlängerung eines großen Wirtschaftshits von Geier Sturzflug. Kiffen und Haschen im Sinne der Wirtschaftsweisen. Ein entschleunigte Reggae lässt einem das Tütchen langsam entzünden und dann ein tieeeeeefer Zug – Jo Mann. Da aber Anbau und kontrollierte Genuss von Marihuana ja demnächst legal werden kann, nimmt man den ganzen Ausgeflippten den Wind aus den Segeln, weil „legalize it“ ist dann passé. So nehmen wir Abschied von der Illegalität, weil der „Der Letzte Zug“ ansteht. Auch der Lasterfahrer nimmt es in „Lastafahra“ nicht so ganz ernst mit „Hände weg von den Drogen“. Entspannender Reggae verbunden mit dem Duft süßlich duftender Wölkchen in der Fahrerkabine. „Mundwinkel hoch“ ist ein Rezept für das positive Leben. So schlimm kann das Leben gar nicht sein, dass wir nicht dabei lächeln könnten. Und dabei schunkeln wir wieder zum rhythmisch-treibenden Reggae Beat. Die Abrechnung mit allen Querdenkern und Verweigerer kommt mit „Doofmannsgehilfen“. Fetter Bläsersatz, schneller Ska Beat und eine peitschende Message: Aua Aua, das tut ja schon weh. Eher selten sind Solos der Musiker, aber das hier eingespielte Gitarrensolo hebt sich wunderbar und schön gegen Bläser und Orgel ab. Eine musikalische Zäsur oder eher ein Schlusspunkt als 13. Song ist „Modern ist wenn man gewinnt“. Ein mit Bläsern unterstützter Bluesrhythmus, der das Old-School-Feeling des Songs unterstützt. Unser Held bleibt auch dann traditionell und altmodisch, wenn das Leitthema von heute längst „Gewinnen“ lautet.
MunichTalk Resumeé: Der Titel kündigt es schon an – Ska & Reggae dominieren dieses schnelle Album. Die Texte sind, so wie man es von Geier Sturzflug oder Friedel Geratsch erwarten kann, witzig, nicht minder schnell und passen zum Tempo des fröhlichen, aber trotzdem ernsthaften Albums „In der großen Tradition der kleinen Haushaltswaren“ von Geier Sturz. Für mich ein Bindeglied zwischen den Geiern der 90er und den 2020ern und eine musikalischer Wohltat, die sich deutlich von der heutigen synthetischen Musik der jungen Generation abhebt.
MunichTalk Hörtipp: Der schnelle „Bob Hiob“ bringt das Album gleich als erster Song auf Schwung. Text und Rhythmus fesseln sofort und lassen nicht mehr los. „Fünf vor Zwölf“, weil es Augen und Seele öffnen kann.
Musiker:
- Karsten Riedel
- Friedel Geratsch
- Carlo von Steinfurt
- Reiner Hundsdoerfer
- und Sven Nowoczin bei „Rob Hiob“ und „Zum Rollen geboren“
Songliste:
01 Bob Hiob
02 Lockdown
03 Fünf vor Zwölf
04 Zum Rollen geboren
05 Der letzte Zug
06 Die alte Bürste
07 Total verrückt
08 Hey Kapitän
09 Kiffen kurbelt die Wirtschaft an
10 Lastafahra
11 Mundwinkel hoch
12 Doofmannsgehilfen
13 Modern ist wenn man gewinnt
Videos:
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=XPDsBfazO7Y]
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=pL7PH27oBps]
Bezugsquellen und Links: